Drei Fragen an Christina Mohr zu »Female Sounds & Words. Von Riot Grrrls und Discodiven«
Seit rund 20 Jahren schreibt Christina Mohr für Musikexpress, Missy Magazine, konkret, Spex oder Melodiva über Musik von Frauen – gerne über solche mit feministischer Message. Und sie schreibt über ihre eigene »Pop-Bessenheit«. Was lag also näher, als die besten Kritiken für einen Band unserer „edition kopfkiosk‟ zu überarbeiten und neu zu arrangieren. Entstanden ist mit »Female Sounds & Words« ein feiner Kanon für weiblich und feministisch geprägte Musik.
Im Klappentext deines Buches heißt es: »Christina Mohr kennt Frauen, die haben 1986 ihre letzte Platte gekauft (Wham!, The Final) – und sich dann vernünftigeren Dingen zugewandt (…)«. Hast du eine Erklärung dafür?
Darüber denke ich seit Jahrzehnten nach. Ein Grund könnte sein, dass Mädchen (zumindest als ich eins war) eher zu »Vernunft«, sprich unauffälligem, »erwachsenen« Handeln erzogen werden. Das ist heute hoffentlich nicht mehr so stark verbreitet, aber in meiner Peergroup war es schon so, dass Jungs jedem noch so skurrilen Hobby nachgehen durften, während von Mädchen erwartet wurde, dass sie mit fünfzehn den Haushalt schmissen und auf jüngere Geschwister aufpassten.
Okay, ich übertreibe, bei mir und meinen Freundinnen lief es ja durchaus anders. In meiner Familie zum Beispiel gab es ein generationenübergreifendes Fantum, eine Begeisterung für Musik und ihre Urheber:innen, die ich ganz sicher verinnerlicht habe. Und ich durfte mir immer Platten kaufen, auch als ich noch sehr jung war. Ich kann aus meinen persönlichen Erfahrungen ja nichts Allgemeines ableiten, aber ich denke, dass für viele Frauen meines Alters Popmusik mit der Jugendzeit verknüpft ist – man also noch genau weiß, dass man zu Simply Red zum ersten Mal geknutscht oder eine eigene Choreo zu »Wake Me Up Before You Go-Go« getanzt hat, das gab es nämlich auch schon in den Achtzigern, nur ohne TikTok. Und dann kommt das »echte Leben«, in dem kein Platz mehr für solche Sachen ist. Männer bleiben eher dabei, schleppen ihre AC/DC-Platten aus dem Jugendzimmer in die WG und dann ins Eigenheim, dessen Wände von der gigantischen Vinylsammlung geschmückt werden.
Aber vielleicht sollte ich mich nicht so stark an vermuteten Geschlechtsunterschieden abarbeiten, sondern akzeptieren, dass Pop-(Musik) nicht allen Menschen gleich viel bedeutet. Das fällt mir allerdings schwer (Zwinkersmiley).
Wie lautet dein eigenes Rezept für einen gelungenen musikjournalistischen Text? Also etwas, was man auch gerne liest, ohne die Musik zu kennen oder unbedingt zu mögen?
Ein echtes Rezept habe ich nicht – das wäre auch merkwürdig, schließlich will ich ja keine Textbausteine verwenden … obwohl ich schon zu bestimmten Formulierungen neige, was mir bei späterem Lesen immer mal wieder auffällt.
Wichtig ist Begeisterung – oder tiefe Abscheu, die kann auch zu einem guten Text führen! Wobei ich generell lieber positive Rezensionen schreibe, also versuche, meine Wertschätzung für den/die Künstler:in auszudrücken. Verrisse machen zwar auch Spaß, aber die müssen so richtig reinhauen. Emotionen sollten aber in jedem Fall rüberkommen: Zum Beispiel halte ich nichts von möglichst objektiven oder »neutralen« Besprechungen, ich glaube sogar, dass es so etwas gar nicht gibt. Man ist beim Schreiben doch immer subjektiv, es sei denn, man verfasst Gebrauchsanweisungen. Wenn ich dem Autor, der Autorin vertraue, den persönlichen Stil mag, dann bin ich auch gespannt darauf, was diese Person mir beim nächsten Mal empfiehlt. Eine gewisse Faktenbasierung sollte trotzdem gewährleistet sein, sonst stellt sich wiederum kein Vertrauen ein … Gelungen finde ich eine Besprechung, wenn das besprochene Album in einen größeren Kontext gestellt wird, Querverbindungen aufgezeigt werden – gern garniert mit einem völlig subjektiven Fazit. Meine Lieblingsreview ist ein Söhne-Mannheims-Verriss (okay, also doch ein Verriss) des leider viel zu früh gestorbenen Martin Büsser im Intro aus dem Jahr 2002, der mit der Beschwerde des Autors beginnt, warum ausgerechnet er diese Platte besprechen soll. Dann schimpft er über den Mannheimer Dialekt und einiges mehr – und es wird sehr deutlich, dass dieses Album Mist ist, nicht nur wegen des Dialekts. Das gefällt mir sehr gut.
Der älteste Text in deinem Buch stammt aus dem Jahre 2004. Was hat sich für Frauen im Business seitdem aus deiner Sicht zum Besseren verändert? Und was fehlt noch?
In jüngster Zeit bewegt sich einiges: sei es die (gefühlt) stärkere Präsenz von Musikerinnen in Magazinen, tolle Veranstaltungsreihen wie »Ich brauche eine Genie« von den Grether-Schwestern, generell mehr Musikjournalistinnen oder die längst fällige Wahrnehmung und Würdigung weiblicher DJs etc. Dass es diese erfreulichen Entwicklungen gibt, kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Pop- und Rock-Business noch immer stark männlich dominiert ist. Dafür genügt ein Blick auf Festival-Line-Ups, die auch 2022 so aussehen wie 1992: Headliner sind die Toten Hosen, und vielleicht sind zwei, drei Bands dabei, die eine Bassistin oder Sängerin haben. Auch die Club- und Technoszene wird nur langsam diverser, vor allem in dem Bereich, in dem viel Geld verdient wird. In den gängigen DJ-»Ranglisten« dominieren nach wie vor Männer, obwohl es jede Menge weibliche und queere Topstars wie Charlotte De Witte oder Honey Dijon gibt.
Interessant finde ich, dass es im Mainstream- bzw. Chart-Pop neben Ed Sheeran und The Weeknd zurzeit nur wenige wirklich erfolgreiche Männer gibt. Dieser Bereich ist mit Topstars wie Billie Eilish, Taylor Swift, Dua Lipa, Doja Cat, Adele, Ariana Grande, Beyoncé oder Selena Gomez fast komplett in weiblichen Händen – das finde ich sehr toll und hoffe auf Tiefen- und Breitenwirkung. Zufrieden werde ich dann sein, wenn es keine special stories über »Frauen im Pop/Rock/Punk/Techno« (…) mehr geben muss.
Pressereaktionen zum Buch (wird fortgesetzt):
»Verdammt gut lesbar. Was für eine Fülle an Anregungen.« Alf Mayer, Strandgut
Fotos: privat