Das Ruhrgebiet ist das Westdeutscheste, was man sich vorstellen kann

Elf Fragen an Nilz Bokelberg, gestellt von Stefan Thoben zu »Ein Traum in bunt – Entdeckung Ruhrgebiet«

Im Sommer 2018 stand in der taz ein groß aufgemachter Reisebericht von Nilz Bokelberg. Der ehemalige Viva-Moderator war eine Woche durch das Ruhrgebiet gewandert und titelte »Du bist cool so, wie Du bist«. Unser Autor Stefan Thoben war so angetan davon, dass er sich selbst auf den Weg machte: vier Wochen lang erkundete er mit seinem Rennrad jeden Winkel zwischen Dortmund und Duisburg. Sein Reisebuch »Ein Traum in bunt – Entdeckung Ruhrgebiet« war nun Anlass für ein ungewöhnliches Interview. Stefan Thoben hat den Urvater seines Buchprojekts befragt: Nilz Bokelberg. Ein Gespräch über Schnapsideen und Rap-Beats, endlose Vorstädte, Deutschlands kleinste Großstadt und einen Flamingo vor dem Gartencenter.

Wann warst du zuletzt im Ruhrgebiet?

Boah, keine Ahnung. Ich fahr da ja immer mal durch, aber so ganz bewusst zu Besuch: Da war vermutlich meine Wanderung das letzte Mal.

Du hast nach deiner Wanderung einen offenen Brief an das Ruhrgebiet geschrieben. War das ein Liebesbrief?

Ich glaube, das konnte man schon als Liebeserklärung verstehen. Ich hatte schon immer einen »Soft Spot« für die Menschen des Ruhrgebiets und ihre sehr eigene Art von Humor und Menschenliebe. Nur landschaftlich hat es mich nie angeturnt. Das hat sich dann nach meiner Wanderung auch geändert.

Gab es eine konkrete Inspiration oder war es ähnlich wie bei mir, dass das Ruhrgebiet – obwohl es ja mehr oder weniger vor unserer Haustür liegt – ein unbekanntes Land für dich war?

Ich saß eines Morgens verkatert im ICE von Duisburg nach Berlin, weil ich am Abend vorher einen Auftritt in Krefeld hatte. Und da hab ich, gedankenverloren, aus dem Zugfenster geguckt und gedacht: Meine Herren, hier ist ja wirklich alles im Arsch. Und das dann auch so auf Facebook gepostet. Woraufhin sich alle meine Freunde und Bekannten aus dem Ruhrgebiet empört haben, dass ich auch mal außerhalb der Bahnhöfe gucken solle. Da sei es nämlich sehr schön. Also habe ich in einer wortwörtlichen Schnapsidee geschrieben: »Na gut, dann lauf ich halt einmal quer durch. Dann muss ich ja alles sehen.« Und da Spielschulden Ehrenschulden sind, hab ich das dann einfach gemacht. Wozu wären Stussideen gut, wenn wir sie nicht auch in die Tat umsetzen würden?

Meine Radtour durchs Ruhrgebiet ist so etwas wie eine Extended Version deiner Wanderung. Du bist quasi der Urvater von »Ein Traum in bunt«. Nur am Ende meines Buches muss ich dir einmal widersprechen: Das Ruhrgebiet soll »the biggest suburb of the universe« sein?

Ja, ich hab das wirklich so empfunden. Eine Wanderung durchs Ruhrgebiet ist auch eine Wanderung durch die Gestaltungsmöglichkeiten westdeutscher Vorstädte von den 60ern bis heute. Manchmal gingen die sogar so ineinander über, dass ich gar nicht gemerkt hab, dass ich die Stadt gewechselt hab. Ich glaube, nach Bochum rein ging es mir zum Beispiel so. Und da ich mehr Vorstadt als Stadt auf meiner Wanderung gesehen habe, kam mir das eben so vor. Diese Vorstädte ziehen sich ganz lang, gehen ineinander über, dann kommt ein kurzer Stadtkern und dann geht es auch schon mit Vorstadt weiter.

Inspirierend war für mich nicht nur dein Text in der taz, sondern auch deine bunten Handyfotos, die den Charme des Alltäglichen klasse eingefangen haben. Zum Beispiel der vor dem Gartencenter festgebundene Flamingo-Schwimmreifen. Erinnerst du dich, wo das war?

Ja, das war an der Grenze von Mülheim zu Oberhausen. Gartencenter Dobirr-Blotz. Der Name allein ist doch schon total geil. Das ist etwas, was ich auch am Ruhrgebiet sehr mag. Namen und Sprache sind da immer so rhythmisch. »Dobirr-Blotz« – da machen Rapper ganze Beats draus!

Warst du auch im TZENNNTRO, wie Deutschlands größtes Einkaufszentrum laut deinem Castrop-Rauxeler Freund Micky Beisenherz im Ruhrpott korrekt ausgesprochen wird? Oder hast du um das CentrO einen Bogen gemacht?

TZENNTRO war ich natürlich auch. Da hab ich eine kleine Rast eingelegt, zu der mein Bruder zu Besuch kam und ein gemeinsamer Bekannter. Wir saßen dann im Außenbereich eines dieser Lokale an der »Ausgehmeile« und mein Bruder sagte den schönen Satz: »Das ist hier aber eine tolle Leistungsschau deutscher Systemgastronomie.« Diesen Satz kann ich nie vergessen, wir haben uns kaputt gelacht.

Ist dir von deiner Wanderung ein Lieblingsort in Erinnerung geblieben? An meinem Lieblingsort müsstest du auch vorbeigekommen sein: die Schifferbörse in Duisburg-Ruhrort.

Ja, Duisburg-Ruhrort hat mich wirklich ziemlich beeindruckt. Das ist so schön da, da wäre ich am liebsten direkt geblieben. Es war aber auch der erste Ort meiner Wanderung, deswegen wäre das vielleicht etwas verfrüht gewesen. Ich hab immer mal wieder so Orte gesehen, bei denen ich mir überlegt hab, wie es wohl wäre, dort zu leben. Mülheims Alt-Städtchen zum Beispiel hat mir wahnsinnig gut gefallen. Oder der Riesenpark am Eingang von Bottrop. In Recklinghausen hatte ich ein ganz zauberhaftes Hotel namens Alte Schule, dort war es so schön und idyllisch. Das waren schon alles magische Orte.

Du hast deine Reise in Moers begonnen, aber keinen einzigen Satz über Moers geschrieben. Ich verstehe das als Hommage an Roger Willemsen, der in seiner »Deutschlandreise« zu Protokoll gab: »Ich stehe in einer Gaststätte in Moers und suche nach Sätzen über Moers. Das dauert.« Fällt dir nach fast drei Jahren noch ein guter Satz über Moers ein?

Ich wollte unbedingt in Moers starten, weil einer meiner liebsten Freunde von dort kommt und weil es quasi der westlichste Ruhrgebiets-Durchwanderungs-Startpunkt ist. Und es war mal »Deutschlands kleinste Großstadt« – ist das etwa nichts? Ich würde meinen: Nein! Das ist doch was! Da kann man doch drauf aufbauen. Vor allem seine Wanderung.

Warst du auch in Castrop-Rauxel? Was hat dir Micky Beisenherz über seine Heimatstadt erzählt?

Micky wollte ich sogar treffen, hat aber leider nicht geklappt. Castrop-Rauxel lag dabei auch leider nicht auf meiner Route. Übrigens auch so ein geil klingender Name.

Du hast geschrieben, das Ruhrgebiet sei »das Westdeutscheste, was man erleben kann«. Das war mein Lieblingssatz und diente sogar als Leitgedanke auf meiner Reise: Meine Hotels habe ich nach diesem Kriterium ausgesucht und sahen dann auch genau so aus – das war super. Kannst du den Satz bitte nochmal für mich wiederholen, damit wir eine gute Überschrift für das Interview haben?

Das Ruhrgebiet ist das Westdeutscheste, was man sich vorstellen kann. Ich glaube nirgendwo ist das alte Westdeutschland noch so gut konserviert wie dort. Das geht bei alten HB-Werbungen los und endet noch lange nicht bei den schlimmsten Architekturverbrechen der 70er, 80er und 90er Jahre. Allein die verschiedenen Ideen von Häuserfassaden, die es in der Geschichte Westdeutschlands gab – dort scheinen sie alle versammelt zu sein. Jeder Schritt ist ein Gang durch ein lebensgroßes Museum. Hier und da bedeutet das Stillstand und ist mitunter traurig. Aber in den meisten Fällen ist es einfach kurios und toll anzusehen und man wartet nur darauf, dass ein Manta um die Ecke gefahren kommt.

Wie heißt es so schön im Ruhrpott: Ich danke Sie, Herr Bokelberg. Letzte Frage: Wirst du mein Buch lesen?

Klar.

Fotos von oben nach unten: Bokelberg kurz vorm Ziel in Dortmund-Dorstfeld (Foto: Nilz Bokelberg); Der Flamingo von Dobirr-Blotz (Foto: Nilz Bokelberg); Thoben hat auch einen Flamigo entdeckt: in Witten-Bommerholz (Foto: Stefan Thoben)

Zum Buch »Ein Traum in bunt« von Stefan Thoben

 

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