Hätte ihn umgehauen

Drei Fragen an Matthias Penzel zu Carl Weissners »Aufzeichnungen über Außenseiter« 

Carl Weissner? Klar, das war doch der Übersetzer von Charles Bukowski und vielen anderen US-amerikanischen Autoren. Dass er selber Geschichten und Romane verfasste, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen. Das journalistische Werk ist jedoch kaum bekannt. Matthias Penzel hat nun den Reader »Aufzeichnungen über Außenseiter« – anlässlich des 80. Geburtstags des leider schon 2012 verstorbenen Weissners – liebevoll zusammengestellt und kommentiert.

Warum lohnt es sich noch heute Carl Weissners Reportagen zu lesen, die ja teilweise aus den späten 1960ern stammen?

Da gibt es eine Menge Gründe. Ich nehme an, sein Wortschatz und Sprachwitz sind Qualitäten, die auch Lesern seiner Übersetzungen schon aufgefallen sind. Dann hat er sich mit Menschen und Themen befasst, die immer noch spannend sind. Da wären zum einen Freunde von ihm – wie Bukowski, Fauser, Burroughs –, außerdem aber auch andere Autoren, die er geschätzt hat. Auch die vielleicht nicht so sehr Außenseiter als vielmehr Individuen, die eben abseits der handelsüblichen Einheitsbreis, mehr/minder entfernt vom Mainstream ihren Stiefel durchziehen und als Lichtgestalten wahrscheinlich noch in 50 Jahren viele Leser*innen umhauen – wie Hunter S. Thompson, Rimbaud, Bob Dylan. Und dann eben diese Themen oder Situationen, die er bei denen beschreibt und auch in seinen Notizen wiedergibt. Das ist dann meistens eher abseits geradliniger oder ordentlicher »Lebensentwürfe«. In den Porträts wird das genauso deutlich wie in den autobiografischen Notizen, die, wie der Auszug zu Rimbaud, aus dem Nachlass sind. Heißt konkret: Da sieht man, wie Carl schon beim Skizzieren auf eine Weise formuliert, auch abstruse Details betont, dass es einem … unter der Schädeldecke kribbelt, wie er es ausdrückte.

Die hier versammelten Texte sind eher literarische Reportagen. Als Nonfiction somit eine Darstellungsform, die man mit Weissner als Übersetzer kaum assoziiert. Also keine übersetzten Gedichte oder Romane, kein Cut-up und so gesehen auch anders als die meisten von Carl Weissner als Autor veröffentlichten Texte. Wie auch immer man seine anderen Bücher kategorisieren will, die sind ja eher freewheeling, dagegen riffen diese Nonfiction-Texte eben ziemlich diszipliniert um ein jeweils klar gesetztes Sujet; mit Improvisationen, speziell bei den Notizen, aber eben immer sauber arrangiert. Das liest sich meistens wie aus dem Handgelenk geschüttelt – ist ihm aber manchmal auch gar nicht so leicht gelungen. Wie er mir zumindest ein Mal erzählt hat. Aber das ist ja eh die Kunst: das Schwierige so präsentieren, dass es einfach aussieht. Ob er da nun über den Zeitpunkt schreibt, wo die Rockmusik nicht mehr Zeitvertreib einiger Beat- oder Jazzmusiker ist, sondern als Rock vom Geschäft zum big business mutiert, oder ob er über die von Anfang an ziemlich verblendete Rezeption Bob Dylans schreibt, oder über 1968, ohne dass da Love oder Summer viel Platz eingeräumt wird, und Peace noch weniger.

Der Untertitel der Sammlung lautet »Essays und Reportagen«. Was ist das Vereinende der Texte, der Rote Faden, die Klammer etc.?

Essays wird ja allgemein verstanden als Texte von Edelfedern. Und mit Reportagen meinen viele, was mich als Journalist immer etwas verwundert hat, die so gern so genannte Königsdisziplin des Journalismus. So betrachtet sind beides Darstellungsformen, denen ein einigermaßen aufgeweckter Geist mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen dürfte. Mir wurde bei angefragten Features – echt egal, zu welchem Thema oder Menschen – häufig gesagt, ich sollte sie eher reportagenhaft schreiben. Einen Essay – oder »ein«, wie manche sagen, womit das dann noch auserwählter klingt – ein Essay hat bei mir eigentlich fast nie jemand geordert. In Ermangelung des Edlen?

Eigentlich egal. Die Idee des Essais (yes: mit i statt y) geht zurück auf Montaigne; auch einfach mal gucken, worauf die Bedeutung eines Wortes zurückgeht, ist voll Carl, genauso was für Mutationen ein Wort durchgemacht hat. Deshalb also hier kein bloßes Protzen, schon gar nicht edlen Gemüts, sondern: Das Essayistische an Carls Schreiben, auch in seiner Prosa, ist dass alles immer nur Annäherungen sind, so ein Fahnden und Tasten nach Sinn; wie ein kluger Ermittler, mal spielerisch, dann systematisch, spekulativ aber auch faktisch. Mit Aspekten der Reportage ist das zu vergleichen, da sein Umkreisen nicht nur rein intellektuell unterm Schädeldach zirkuliert, sondern dass bei ihm immer auch die eigenen Sinne … sozusagen ein Wörtchen mitreden. Das macht die Texte sehr lebendig – und das ist auch einer der Gründe für die anhaltende Faszination an Weissners Werk insgesamt: Er hatte klare Kriterien, er wusste, dass sich Genuss und Spaß nicht nur im Kopf abspielen.

Wenn das alles jetzt zu germanistisch klingt oder so, als würde ich hier Klimmzüge zu irgendwelchen alles-erklärenden Theorien machen: ist nicht der Fall. Wenn, dann hatte ohnehin er viel mehr drauf hinsichtlich solcher Theorien, Termini und Abstraktionsebenen. Was Rhapsodien auszeichnet, genauso wie Harmonielehre, Coltranes Tricks und Chandlers »similes« hatte er ein Wissen parat, die man bei Carls Klartext-Schwäche oder der Knallschreibe seiner Bukowski-Übersetzungen nie vermutet hätte. Ich nehme an – reine Spekulation! – dass er das von den »cool cats« des Bebop gelernt hat: Technik, viel, viel Technik, die man aber bei der Performance nicht vorführt, und mit der man auch in Interviews nicht angibt.

Am 19. Juni wäre Carl Weissner 80 Jahre geworden. Was hätte er vielleicht zu seinem »Geburtstagsgeschenk« gesagt?

Um ehrlich zu sein – und so eine Formulierung ist normal ja Auftakt zu einer Lüge – aber jetzt ganz ehrlich, Hand aufs Herz: Ich glaube, zu dem, was ich hier gerade alles abgelassen hätte, hätte er gar nix gesagt. Wenn wir uns getroffen haben, um meistens vier bis sechs Stunden ziemlich nonstop zu quasseln – nur das Telefonieren ging nicht so lange –, hat er bei manchem, was ich ihm erzählte, nur so verkniffen gelächelt, vielleicht den Kopf ein bisschen geschüttelt. Und gar nix gesagt. Manchmal kam er dann darauf zurück, korrigierte vielleicht dezent das eine oder andere. Oder ließ es einfach sacken.

Aber dieses Buch, davon bin ich überzeugt, hätte ihn schwer beeindruckt. Dass da so viel zusammengekommen ist, dass sich mit seiner quasi eher nebenher produzierten Nonfiction ein dermaßen cooles Buch füllen ließe: das hätte ihn überrascht. Völlig ohne Zweifel. Und das ist keine reine Spekulation. Denn wir sprachen über solche Collections von Texten – auch wie ich meine zu gestalten hätte, Mailers »Advertisements for Myself« nannte er mir zur Orientierung; und auch die Mail habe ich noch, in der er schrieb, ich sollte ein paar meiner journalistischen Sachen in einem Buch zusammenfassen. Aber von ihm? So viel, so viel so Gutes? Hätte ihn umgehauen. Im Nachlass befand sich ja auch eine Art Fahrplan für einen Reader, den er immerhin gedanklich so weit arrangierte, dass er ein Dutzend Texte auf einem Blatt notierte – und das waren ausnahmslos Erzählungen, Cut-ups und andere fiktive Episoden.

Zum Buch und zur Leseprobe

Die Presse über das Buch (Auswahl):
taz, 3.5.2020

junge Welt, 13.06.2020

Die Rheinpfalz, 24.06.2020

Foto von Matthias Penzel (oben): Privat, Foto vom Carl Weissner (Mitte): Udo Breger, Foto vom Carl Weissner (unten): Jan Herman

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